Hexen, Druiden und Schamanen

Wanderer zwischen den Welten, gestern und heute
von Svenja Zuther

Wir alle wissen, dass es sie gibt: die Welt aus der wir kommen und die Welt in die wir gehen. Doch wie diese „andere Welt“ beschaffen ist, darüber wissen wir in unserer modernen „naturwissenschaftlichen“ Welt nichts. So sind für uns heute Geburt und Tod ein wohl größeres Mysterium als sie es jemals waren. Unserem Lebensweg fehlen damit Vorstellungen von Anfang und Ende. Eine gewisse Orientierungslosigkeit und Sinnfindungsschwierigkeiten könnten die Folge davon sein…

Im schamanischen Weltbild gibt es neben der Mittelwelt – die unserer Alltagswirklichkeit entspricht – auch eine Oberwelt und eine Unterwelt. Alte Mythen erzählen z.B. von Gottheiten der Unterwelt wie der germanischen Holda (Frau Holle) und dem griechischen Hades, die die ungeborenen Seelen hüten und die Verstorbenen willkommen heißen. Heute verwenden wir gerne den Begriff der „Anderswelt“ um damit alles zu umschreiben, was nicht in unser modernes Weltbild passt. Sie ist entsprechend bunt bevölkert: mit unseren Ahnen und anderen Totengeistern, Feen, Elfen, Zwergen, Tier-, Pflanzen-, Familien- und Ortsgeistern, etc. Menschen zu allen Zeiten in den verschiedensten Kulturen dieser Welt haben solche Begriffe, Bilder und Geschichten „erfunden“, um Dinge/Wesen/Kräfte/“Energien“ zu beschreiben, die zu ihrer „Wahr-Nehmung“ der Natur dazu gehören.

Und in all diesen Kulturen gab und gibt es „Experten“ für den diplomatischen Austausch mit der Anderswelt. Es sind Menschen, die keinen Beruf ausüben, sondern eine Berufung – die besondere Fähigkeiten mit auf ihren Weg bekommen haben und die Aufgabe, damit anderen Menschen zu helfen. Diese Wanderer zwischen den Welten werden mit unterschiedlichen Namen und Aufgabenfeldern beschrieben: so z.B. die Hexen, die „hagazussas“, die im Hag bzw. in der Hecke sitzen und die Grenze zwischen den menschlichen Siedlungen und der Wildnis überwinden; die Schamanen, die Jankhris, die „Schüttler“, die willentlich in Trance fallen, um in der Anderswelt mit den Geistern zu verhandeln; Druiden, Priester, Vermittler zwischen der profanen und der spirituellen Welt, Auguren, Wahrsager etc. Oft sind sie vor allem als Heiler tätig, die wahrhaft ganzheitlich arbeiten, weil sie auch die Beziehungen mit andersweltlichen Wesen in die Suche nach Ursachen einer Erkrankung und in das Behandlungskonzept mit einbeziehen. Oft sind sie auch als weise Ratgeber angesehen und leiten wichtige Rituale im Jahreskreis oder im Lebenslauf, z.B. für ein gutes Wachstum auf den Feldern oder um die Toten gut in die Anderswelt zu geleiten. Sie alle sind Ausdruck dessen, dass es nicht nur eine Notwendigkeit zu geben scheint, das soziale Umfeld des Menschen und ökologische Überlegungen in anderen Dimensionen zu betrachten als wir das heute tun, sondern auch dass es ein grundlegendes Bedürfnis des Menschen gibt nach Transzendenz und Spiritualität. Der Kontakt mit der Anderswelt ist nicht nur wichtig, um Probleme zu behandeln. Gute Beziehungen mit der Anderswelt zu pflegen, in lebendigen Kontakt zu treten mit anderen beseelten Wesen kann uns auch mit der ganzen Natur als Quelle von Lebensenergie, Weisheit und guter Inspiration (wörtlich: Be-Geisterung) verbinden.

Doch Umgang zu haben mit der Anderswelt wurde in unserer Kultur streng verboten, an ihre Existenz zu „glauben“ verachtet und verlacht. So ist vieles, was für unsere Vorfahren ganz selbstverständlich war, in völlige Vergessenheit geraten. Heute fehlt es uns nicht nur an Experten für den Umgang mit der Anderswelt; wir alle müssen uns erholen von den Restriktionen unserer Wahrnehmung in der Vergangenheit. Doch ganz und heil können wir nur sein, wenn wir nichts ausklammern was existiert, wenn wir uns unsere Gefühle und Wahrnehmungen nicht selbst verbieten. Erst wenn wir überhaupt beginnen zu verstehen, wie sehr unsere Wahrnehmung der Natur – so wie sie ist – „ver-rückt“ worden ist, können wir wieder ein gesundes Naturbewusstsein entwickeln und das Wandern zwischen den Welten als elementaren Bestandteil des Lebens erfassen.

Im Dezember 2012, Svenja Zuther